Foto: Roman Kasperski Model: Vivian Vaine
"Planlos durch die Nacht / Planlos im Ruhrgebiet" ist die fantastische Fortsetzungsgeschichte im nachtplan.
Gestartet in der Ausgabe 11/12-2006.
Alle Namen, Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Viel Vergnügen!
(39)
Die Luft aus den Lungen gepresst. Etwas schlingt sich um Toms Oberkörper, reißt ihn
ruckartig hoch. Seine Arme rudern in der Luft; sein Mund öffnet sich für einen Schrei, nur
um von einer Hand wieder verschlossen zu werden, die von außerhalb Toms Sichtfeld
kommt. Die Beine finden den Boden wieder, sind jedoch schwach, knicken weg. Jemand
schleift Tom hinter sich her wie einen Bewusstlosen. Der leistet genauso viel Gegenwehr.
Bewusstlos mit offenen Augen. Eine Böschung am Bahndamm. Unsanftes Absetzen neben
einem Dornenbusch. Toms Gesicht noch immer halb verdeckt von der Hand. Langsam löst
sich die Umklammerung von Kopf und Körper. Dann ist er frei aber unfähig, das zu
nutzen. Er fällt zur Seite, in den Dornenbusch. Sein Körper krümmt sich minimal, dann
bleibt er still liegen. Eine Hand steckt etwas in Toms Mund, streicht über dessen Kehlkopf.
Tom schluckt reflexartig, gleichgültig. Kurz darauf sinkt er in eine tintige, wohlige
Schwärze. Erlösung.
Unter Tom eine Couch, fast so weich wie die Watte in seinem Kopf. Über ihm eine kratzige
Wolldecke. Irgendwo darüber wiederum eine Zimmerdecke, im Dunkel gerade eben zu
sehen. Tom starrt sie regungslos an. Auch in seinen Gedanken alles schemenhaft und
finster. Eine Lampe in Reichweite seines ausgestreckten Arms - viel zu weit weg. Die
Schatten zwischen den beiden Decken gebären Ungeheuer, vage, verschwommen, immer
wieder zerfließend in neue unheimliche Wesen. Tom rührt sich nicht. Sollen sie ihn doch
holen. Sie tun es nicht. Es ist egal, wie lange er hier liegt, wo er hier liegt, warum er hier
liegt. Vielleicht ändert es irgendwer irgendwann, aber nicht Tom, nicht so bald.
Von irgendwo ein Geräusch. Holz auf Kunststoff. Schritte. Dann durchflutet Licht Toms
Refugium. Eine Tür wird geöffnet. In ihr eine Silhouette: eine hagere Gestalt mit etwas
länglichem in der Hand. Ein kurzer Lichtblitz tanzt auf der Wand dahinter. Die Person
kommt auf Tom zu.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(38)
Der Aufprall reißt Tom von den Beinen. Und das war nur der Luftzug des Zuges. Nach
einem kurzen Flug landet er hart auf dem Schotter. Seine Lederhose verhindert Schnitte,
aber der Oberschenkel ist garantiert geprellt. Mindestens. Ein schmerzerfülltes Stöhnen
geht unter im Lärm der schweren Waggons.
Dann verändert sich die Geräuschkulisse, wird zu einem Ächzen und Knarzen bis
schließlich überdimensionale Fingernägel über eine Schiefertafel zu kratzen scheinen. Der
Güterzug kippt. Die Lok rammt die S-Bahn, aus der Tom gerade geflohen ist. Das
erschrockene Gesicht eines im Spurt innehaltenden Schwarzmetallers, der kurz darauf unter
einer Ladung Kohle begraben wird. Dann schlitzen viele Tonnen Stahl den Personenzug
auf, ihre Geschwindigkeit davon ungebremst, und hinterlassen eine hässliche Narbe. Die
Zahl der Fingernägel ins Unermessliche gesteigert. Weitere Waggons fallen in den
stehenden, blutroten Zug. Der beginnt zurückzuweichen, kippt ebenfalls ein Stück, wird
aber durch das zusätzliche Gewicht in seinem Innern am Boden gehalten, noch mehr
beschwert durch die Kohlen, die erst vereinzelt, dann in einem gewaltigen Strom
hineinfließen. Tom leert schreiend seine Lungen, kann seinen Blick nicht abwenden,
obwohl er nichts von alledem sehen will.
Nach einer gefühlten Ewigkeit endet das Stahlmassaker. Beide Züge liegen ineinander
verkeilt wie Körper nach einem gewaltsamen Eindringen und erschöpft von einem
gewaltigen Orgasmus. Tom schreit immer noch, sonst ist alles still. Fast alles. Vereinzeltes
gedämpftes Wimmern dringt aus dem Zug, in dem er vor wenigen Sekunden, Minuten,
Stunden, wielangeeigentlich noch saß. Eine Frau schreit um Hilfe, unterbrochen von
Weinen und anderen Schmerzlauten. Ein Mann ruft mit gebrochener Stimme nach einem
Gott, an den er bis gerade eben nicht geglaubt hat. Tom bleibt einfach sitzen, ist unf6auml;hig,
sich zu bewegen. Nicht wegen seines Oberschenkels.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(37)
Panisches Schreien jenseits der Tür. Dazwischen wieder die tiefe Stimme, diesmal
bemüht ruhig. „Komm, steck das Messer weg." Dann geht das Gepolter los.
Schwere, schnelle Schritte gefolgt von dumpfen Schlägen. Das Kreischen wird lauter,
wird übertönt von begeisterten Schwarzmetallern. Ein Aufprall gegen die Außenwand
des WCs. Tom zuckt zusammen, fiebert blindlings mit. Zu welcher Seite gehörte der
Körper? Da draußen wird mitunter sein Schicksal entschieden.
Eine Scheibe klirrt und das Rattern wird lauter. Schmerzensschreie, schnell leiser
werdend. Die Kampfgeräusche werden schlagartig weniger, hören kurz danach ganz
auf. Ein Ruck erschüttert Toms Versteck, wirft ihn gegen die Wand. Der Zuglärm wird
verstärkt durch das metallische Kreischen der gebremsten Räder auf den Schienen.
Aufrappeln. Nasenbluten. Stille. Dann hektische Stimmen aus dem Abteil.
Allgemeine Verwirrung. Eigentlich der perfekte Zeitpunkt für eine Flucht. Aber wer zur
Hölle hat nun gewonnen? Egal. Tom riskiert es, öffnet die Tür. Er rennt los, weg von
der Kampfszene, ohne Blick zurück. Hinter ihm Schritte, aber wohl zu langsam. Vor
ihm ein leeres Abteil, eine der Türen geöffnet. In den Fenstern nur Tom, der sich
dank der Innenbeleuchtung mehrfach spiegelt. Dahinter alles unsichtbar. Sprint zur
Tür mit wehendem Mantel. Die Schritte hinter ihm kommen näher. Scheiße.
Kalte Luft umgibt Tom, er ist raus aus dem Zug. Fahrgäste rennen in alle Richtungen,
schon jetzt weit entfernt. Tom sprintet die Gleise entlang, keuchend, auf die
Schwellen achtend, um nicht zu stürzen. Grelles Licht erhellt plötzlich seinen Weg.
Eine Hupe dröhnt in der Nacht. Tom blickt auf, steht einem Güterzug gegenüber, der
genau auf ihn zu kommt.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(36)
Die Lärmkulisse eines Kriegsschauplatzes. Dazu Tod und Verwesung überall.
Zumindest riecht es so, das Zugklo. Ein guter Ort, um sich zu verstecken, aber auch
ein Gefängnis, wenn man entdeckt wird. Stahlräder direkt unter Tom tasten Gleise
ab, erzeugen aus den Pits dazwischen einen kakophonischen Rhythmus. Andere
Geräusche ausgemerzt. Der visuelle Horizont ist eine Milchglasscheibe. Totale
Isolation. Hoffentlich wirkt sie in beide Richtungen.
Tom lauscht angestrengt, den leicht abgekühlten Voodoo-Talisman in der Hand. Der
leuchtet plötzlich wieder heller, wird wärmer. Ein dumpfer Stoß gegen die Tür. „He,
komm da raus." Eine schnarrende Stimme ¸bertönt kurz das Geratter der S-Bahn.
Dann wieder Stille. Lauernde Stille. Tom ist versucht, die Tür zu öffnen. Nicht, um der
Aufforderung zu folgen, sondern um zu wissen, was auf der anderen Seite geschieht.
Er beginnt zu schwitzen, starrt auf den Schädel. Der strahlt fast heller als das Licht in
der Kabine (was bei der Funzel unter der Decke zugegebenermaßen keine große
Leistung ist). Ein weiterer Schlag, stärker als der erste, dann ein noch kräftigerer
Tritt. „Mach die Tür auf, hab ich gesagt. Fahrkartenkontrolle." Tom muss ein
hysterisches Glucksen unterdrücken. Glaubt da wirklich wer, das sei überzeugend?!
Hinter der dünnen Preßspanplatte hält sich wer nicht zurück, beginnt, verrückt zu
gackern. Dann wieder Stille. Ist Tom entdeckt? Oder war das nur ein besonders
raffinierter Test? Die Antwort liefert eine doppelschneidige Messerklinge, die durch
die Tür gerammt wird. Jetzt ist auf dem Gang wirklich Action. Mehrere Stimmen
scheinen sich zu unterhalten. Mal hektisch und laut, mal verschwörerisch tuschelnd.
Tom versteht kaum etwas. Dieser verdammte Krach! Immer wieder trifft etwas die
Tür.
Ein tiefer Bass übertönt das Gewirr: „Was ist denn hier los?" Als Antwort wieder die
schnarrende Stimme: „Du kannst gerne auch was abhaben." Die Klinge verschwindet
aus der Tür.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(35)
Knochenknacken. Ein Schmerzensschrei. Tom, zusammengekauert auf dem Boden,
hebt seinen Blick. Einer der Schwarzmetaller wimmert, fest im Griff seines Peinigers.
Keine weitere Bewegung. Ein Zombie direkt vor Tom. Das wars jetzt also. Zu Klauen
gekrümmte Finger packen sein Handgelenk, ziehen ihn hoch. Langsam, mechanisch,
unerbittlich. Dann schubsen sie ihn kraftvoll weg, begleitet von einem murrenden
Laut. Tom ist verwirrt, stolpert, fällt fast. Der Zombie scheint den Arm zu heben, weg
von der Szenerie zu deuten. Tom setzt sich fast unbewußt in Bewegung. Hinter ihm
immer wieder schwer zu deutendes Gewimmer und Geheul.
Keine Ahnung, wohin er gehen soll. Tom stapft einfach ziellos durch die Nacht. Von
Zeit zu Zeit ein Stop mit verzweifeltem Schluchzen, dann wieder weiter. Es gibt keine
Zuflucht, keine Guten’. Und wenn doch, können sie nicht helfen. Tom muss
untertauchen. Aber wie? Und wohin? Zurück nach Wunstorf? Auch keine Lösung.
Erstmal in eine andere Stadt des Ruhrgebiets, dann mal sehen. Für mehr ist kein
Geld da. Die Adressenliste im Nachtplan. Die erste Stadt, die ihm in den Blick fällt, ist
so gut wie jede andere. Auf zum Bahnhof.
Im Zug Betrunkene und Studenten auf dem Weg zu einer Party. Überall Lachen und
gute Laune. Tom vermisst seinen MP3-Player, schaut unsicher umher. Ein Hip
Hopper setzt sich zu ihm. Bushidos Stimme aus übergroßen Kopfhörern. Tom
mustert den Typen unauffällig. Wer hat ihn wohl geschickt? Für wen beobachtet er
Tom? Die Augen des Kappenträgers treffen Toms mißtrauisches und nervöses
Starren. Der blickt schnell ins spiegelnde Fenster. Statt Ruhrpott bei Nacht nur sein
eigenes Gesicht. Man, sieht er Scheiße aus. Total übernächtigt und fertig. Eine laute
Frauenstimme aus der Dose. Tom zuckt vor Schreck zusammen. „Nächster Halt:"
nicht sein Bahnhof. Da beginnt es in seiner Hosentasche zu brennen.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(34)
In der Falle. Fünf Schwarzmetaller in gleichmäßigen Abständen um Tom postiert. Ein
perfektes Pentagramm. In ihrer Mitte ein völlig aufgelöstes Opfer. „Haben wir Dich. Also
können wir das Ritual endlich beenden." Ein Kichern dringt an Toms Ohr, sorgt für einen
weiteren Schwall Tränen.
Dann durchdringt Stöhnen die Nacht, kommt aus mehreren Richtungen. Aus mehreren
Kehlen. Was haben sie jetzt schon wieder gerufen? Ängstlicher Blick durch einen feuchten
Schleier. Aber Toms Jäger sehen sich hastig um, wirken überrascht. Langsame, schlurfende
Schritte scheinen näher zu kommen. Sechs Gestalten heben sich kurz darauf schwarz von der
Finsternis ab, haben das Grüppchen umzingelt. Lange Haare, Lederjacken mit Nieten,
Lederhosen, teilweise arg verdrehte Physiognomien und Bewegungen. Und diese Gesichter!
Leere Augen, die so gar nicht zu dem sie umgebenden, angstverzerrten Gesichtsausdruck
passen wollen. Ihre ist Haut so weiß, dass sie im Dunkeln schimmert, mit tiefen Höhlen um
Augen und Mund. Tom wird ebenso bleich, als er erkennt, wer da den Ring enger zieht. Das
sind die sechs Beschwörer vom Friedhof. Oder besser: deren verschwundene Leichen!
Die lebenden Metaller erkennen ihre einstigen Gefährten, werden sichtlich nervös. „Frank?!"
Vorsichtiger Vorstofl, ungläubig, gerichtet an ein totes Gesicht. Als Antwort der Griff einer
kräftigen Hand an die Kehle des Fragenden. Zu lange Schocklähmung, zu kurze Distanz. Das
Chaos beginnt. Die Untoten greifen mit toten Fingern nach ihren ehemaligen Kumpanen. Die
wiederum wehren sich, so gut es geht. Schläge und Tritte prallen auf bereits gebrochene
Knochen. Angsterfüllte Gesichter schauen auf den auferstandenen Tod vor ihnen. Am Ende
sind alle lebenden Langhaarigen überwältigt. Ein Zombie schlurft auf Tom zu. Langsam und
gemächlich. Fast erhaben in seiner Lässigkeit. Ihm gegenüber das Kaninchen vor der
Schlange. Tom wartet auf sein Ende.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(33)
Der Gestank der Hölle. Ausgehend von dem, was von Saschas Wagen übrig ist. Verschmortes
Plastik, verbogenes Metall und gesplittertes Glas. Noch immer dichter Rauch darüber.
Drumherum ein Haufen Schaulustiger. So gebannt vom Geschehen, dass sie Tom nicht
wahrnehmen. Der kommt aus der Haustür und entschwindet unauffällig durch die Menge. Ein
kurzer Blick zum Wrack bringt ihn fast ins Stolpern. Dann eine rettende Seitenstraße. Stille.
Eine Parkbank in der Dunkelheit. Lichtkegel und Motorengeräusche ziehen an der Straße
vorüber. Das erste tiefe Durchatmen seit Stunden. Eher seit Tagen. Ausweglosigkeit bricht
über Tom herein. Irgendwas Übermächtiges ist hinter ihm her. Einen Rückzugsort gibt es
nicht. Helfen kann oder will ihm auch keiner, alle wollen stattdessen, dass er etwas für sie tut.
Zum Beispiel, für sie draufgehen. Ein Wagen parkt, taucht Tom kurz ins Licht. Kurzes
Aufschrecken, dann wieder Dunkelheit und erneutes Nachdenken. Ein plötzliches Glühen an
Toms Oberschenkel lässt ihn aufspringen. Verwirrung. Er greift in die Hosentasche. Heiß!
Der Talisman, den ihm Rene gegeben hat! Das Ding verschmort bereits die Lackhose. Tom
zieht es heraus und es erkaltet schnell. Irritiertes Staunen. Der stilisierte Glatzkopf dreht sich
am Lederriemen, funkelt im Sternenlicht. Die Augen scheinen nach links und rechts zu
blicken. Intuitiv versteht Tom, rennt los.
Deja-Vu von der Verfolgungsjagd auf dem Friedhof. Hinter Tom mehrere Schwarzmetaller.
Schon wieder. Sie jubeln wie Kinder nach einem gewonnenen Fußballspiel. Schon wieder.
Und sie kommen näher. Schon wieder. Aber diesmal ist da kein monströser Retter mit
zweifelhafter Motivation. In Toms Weg taucht abrupt eine Gestalt auf. Einer der Jäger. Ein
Grinsen verzerrt sein stark geschminktes Gesicht zusätzlich. Der Baseballschläger liegt locker
in seiner Hand. Fluchtweg links oder rechts? Fehlanzeige. Versperrt von seinen Freunden.
Hinter Tom weitere zwei. Er ist eingekreist. Atemlos sackt er auf die Knie, beginnt zu heulen.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(32)
Der Typ ist besessen. Oder auf sehr merkwürdigen Drogen. Die Arme weit ausgestreckt,
fixiert er Tom mit Augen ohne Pupillen. Dem Mund entfährt ein leicht holziges Schaben
menschlicher Silben. Vocoder verschluckt? „Ich bin Papa Legba und dieses Pferd ist einer
meiner Diener." Pferd? WTF? Die beiden Handflächen zeigen auf den Brustkorb von Toms
Gegenüber - Parodie altmodischer Eleganz. Dazu eine angedeutete Verbeugung ohne den
bohrenden Blick von Tom abzuwenden. Dessen Schockstarre ist stärker als sein
Fluchtinstinkt.
Das Ding sei ein Loa und spreche für viele gute Geister, die den Menschen helfen. Zumindest
denen, die den richtigen Preis zahlen. Rene, Toms Retter, sei einer dieser Menschen, ein
Houngan. Jetzt gerade aber nicht. Da sei er nur ein Gefäß für einen Loa, eben ein Pferd.
,Reiten’ lässt er sich als Dank f¸r ein paar Gefallen in der Vergangenheit. Weiterer Teil des
Deals wäre es, genau zur richtigen Zeit am Unfallort zu warten und Tom zu retten. Der
kichert an dieser Stelle hysterisch. Hellseherei also auch noch. Legba wolle ihm helfen, den
Friedhofsdämon loszuwerden. Nicht ganz uneigennützig, natürlich. Ein Geisterunterhändler
aus dem Schattenreich? Tiefes Misstrauen. Am Ende steckt der noch hinter den Metallern:
erst Sascha aus dem Weg räumen, dann Tom kassieren und für was auch immer benutzen.
Mehr Wissen über den Widersacher bekomme Tom, wenn er den Loas hilft. Vermutlich
abwartend gemeinter Blick aus den weißen Augäpfeln. Nervöses Einlenken zum Schein. Auf
Legbas/Renes Gesicht daraufhin ein schwer deutbares Grinsen. Der Körper sackt zusammen,
als wäre er bloß eine Hülle ohne Inhalt.
Kurz danach ein Stöhnen. Rene stützt sich schwerfällig auf die Hände, kommt dann auf die
Knie und schließlich auf wackelige Beine. „Was hat er gesagt?" Tom zögert. „Wir sollen uns
trennen und Du auf Deine nächste Vision warten." Rene zieht die Stirn in Falten, wirkt nicht
überzeugt. Er greift in seine Tasche.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(31)
Eine Flammensäule steigt brausend auf, tost gierig über dem Auto. Toms Augen weit vor
Schreck. Ein versuchter Aufschrei, gedämpft durch die Handinnenfläche des immer noch
Unsichtbaren. Die haben Sascha angezündet! Und jetzt jagen sie garantiert nach Tom! Ebenso
panischer wie erfolgloser Versuch, dem Schraubstock zu entkommen. Der Griff wird nur
noch fester. „Shhh. Eine männliche Stimme an seinem Ohr. Dann ein Flüstern: „komm mit."
Tom wird seitwärts zu einem nahen Hauseingang bugsiert. Auf der Straße laufen langhaarige
Gestalten umher, suchend. Schwere Stiefel schlagen auf den Asphalt. Chaotischer Rhythmus
zum Rauschen des Feuers. Dann von weitem eine Sirene. Die Schritte werden schneller.
Autotüren schlagen, ein Motor röhrt satt auf. Abfahrt ohne Licht.
„Puh, das war knapp. Was wollten die von Euch?" Zwei fast bewegungslose Gestalten im
Fahrradkeller eines Miethauses. Der Typ ist kaum älter als Tom selbst, das Garden of Delight
Shirt und die schwarze Cargo-Hose sind viel zu weit f¸r seinen mageren Körper. Hinter
Spinnweben und einem staubigen Fenster sind Polizei, Feuerwehr, Rettungswagen,
Schaulustige, später auch Journalisten. Tom blickt durch die Szene hindurch. „Ich hab keine
Ahnung, ehrlich. Die Stimme gebrochen, tonlos. Vielleicht hätte Sascha es ihm später
gesagt. Sein Blick sinkt auf die Handschellen. Wahrscheinlich doch nicht. „Weißt Du, wie ich
die Dinger loswerde?" Der Andere blickt auf die gefesselten Handgelenke. „Warum tr‰gst Du
die überhaupt?" Statt seine Antwort zu wiederholen, schnauft Tom nur.
Der rostige Draht bewegt sich im Schloß hin und her. Ein leises ,Klick’ ertönt. Auch die
zweite Hand ist frei. „Danke." Tom massiert die roten Striemen um die Knöchel. „Kein
Thema." Plötzliches Zurücktaumeln des Anderen, wie von einem Schlag getroffen. Die Arme
in der Bewegung zu den Seiten gerissen, der Nacken verdreht. Weiße Augäpfel auf Tom
gerichtet, ein physisch spürbares Starren.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(30)
Das gesamte Wageninnere explodiert in grellem Licht. Ebenso Toms Kopf. Er stöhnt auf.
Sascha blickt hektisch in den Rückspiegel, „Scheiße!", tritt dann das Gaspedal durch. Für
Tom ist ein Sich-Umdrehen unmöglich. Sinnloses Gezerre an den Handschellen. Von hinten
lautes Motorenröhren. Der Lichtpegel steigt. Dann ein Aufprall. Das Kreischen von Metall
auf Metall. Tom ruckt nach vorne, Sascha klammert sich ans Lenkrad. Hochschalten,
schneller fahren. Das Licht wird schwächer, das Brüllen leiser. Aber nur kurz. Erneut ein
Rammstoß. Diesmal kräftiger. Ein lauter Knall aus nächster Nähe. Die Airbags! Sicht und
Lenkrad sind plötzlich versperrt. Tom sieht Panik im bulligen Gesicht des Fahrers. Dann das
Versinken im Luftkissen.
Bewegung wie in einer Achterbahn, aber ohne die dazugehörigen Gurte. Reifen quietschen.
Tom schlägt mehrfach gegen die Autotür. Sascha versucht, durch den Airbag das Lenkrad zu
packen. Dann ein erneuter Schwenk des Wagens und der finale Aufprall von hinten.
Seitwärtiger Überschlag, einer, zwei, unzählige. Geräusche wie aus dem härtesten Noize-
Track, dazu eine hektische Light Show. Der Beat wird langsamer, der verbeulte Leichnam aus
Blech steht quer zur Fahrbahn. Sascha blutet an der Schläfe, sein Körper ist schlaff, die
Augen geschlossen. Toms Handgelenke schmerzen - wie ¸berhaupt alles an ihm. Der Türgriff
ist fest in seinen Händen. Aber nicht mehr an der Tür. Raus hier!
Tom lässt sich aus der Tür auf den erleuchteten Asphalt fallen, die Hände immer noch
gefesselt. Der Geschmack von Eisen in seinem Mund, in den Ohren ein Piepen wie nach
einem Feindflug-Konzert ohne Stöpsel. Im Hintergrund verstummt das Geräusch eines
Wagens. Zwei Türen fallen satt ins Schloß. Schritte nähern sich. Raus aus dem Lichtkegel! Er
rollt sich zur Seite, rappelt sich mühsam auf, humpelt ein, zwei Schritte, keuchend. Lautlos
und fest greift aus dem Dunkel eine Hand seine Schulter, eine andere hält ihm ebenso fest den
Mund zu. Aufkeimender Widerstand zwecklos.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(29)
Ein Sturz wie in Zeitlupe. Kaum Schwerkraft. Tom folgt der Tür. Dann ein harter
Aufprall auf dem Fußboden. Die Bewahrer starren auf den leeren Türrahmen, vom
nun liegenden Tom abgewandt. Sein Blickfeld durch Beine versperrt. Ausgedünstete
Angst strömt bereits durch den Raum. Einen Moment später erklingen schwere
Schritte im Flur, Motorradstiefel oder Ähnliches. Gemächlich, einer brillanten
Dramaturgie folgend. Hat etwa einer der Metaller die Flüchtenden verfolgt? Egal.
Erleichterung bei Tom. Was immer dort kommt - wenigstens scheint es menschlich
zu sein.
Eine Pistole gleitet vom dunklen Flur in den Lichtkegel der Lampe unter der
Zimmerdecke. Kurz darauf Saschas bulliges Gesicht. „Du?!" Björn voller Wut und
Überraschung. Seine Fäuste ballen sich. Sein Ausruf verklingt, bleibt unbeantwortet.
Die Augen des Muskelpakets in der Tür wandern bloß durch den Raum, sondieren
kurz irritiert die verstreuten nachtpläne, danach Tom, halten schließlich die übrigen
Vier in Schach. Fast effektiver als die Pistole. Na los, rückt ihn schon raus. Fast
geseufzt. Die Pistole zeigt kurz auf Tom. Nun also doch zurück zu den Bekannten
seiner Mutter? Klingt nach den letzten Stunden fast wie eine gute Idee. Die beiden
werden Tom höchstens den Kopf abreißen. Wer weiß, was ihm hier blühen würde.
Sascha sitzt am Steuer, gut gelaunt. Daneben der fast bewusstlose Tom, mit
Handschellen an den Türgriff gefesselt. Zu mitgenommen, um sich daran zu stören.
Sein Herz rast, sein Hirn dagegen arbeitet im Schneckentempo. Eine große Kirche
saust am Auto vorbei. Tom erkennt sie. Plötzlich ein Moment der Klarheit. Wolfgang
und Michaela wohnen in einer ganz anderen Richtung. Ein verstohlener Seitenblick
zu Sascha. Der erwidert überraschend den Blick, zieht die Mundwinkel zu einem
fiesen Grinsen zurück. „Du hast wirklich keine Ahnung, wo Du hier rein geraten bist,
was?" Er lacht laut.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(28)
Die ganze Welt bebt. Ein gleißend helles Licht schiebt sich den nächtlichen Horizont hinauf,
verschwindet ohne Übergang, taucht wieder auf und bleibt schließlich. Das Beben endet. Das
Licht verblasst langsam bis es das Sehen erlaubt. Dann ist Tom bei Bewusstsein, Björns
Hände an den Schultern und das panische Gesicht kurz vor Toms. „Alles in Ordnung?" Björns
Stimme ¸berschlägt sich fast, zeigt Tom, dass auf der anderen Seite überhaupt gar nichts in
Ordnung ist. Er selbst versucht zu nicken. Magensäure steigt in seinen Mund auf.
Eine Tom unbekannte Wohnung, ähnlich heruntergekommen wie die von Björn. Auch hier
massig Zeitungsschnipsel, ohne erkennbare Ordnung im Raum verteilt. Ein einsames
Bücherregal, völlig überfüllt. Vom Lustigen Taschenbuch bis zum Fänger im Roggen alles
dabei. Die anderen Bewahrer sitzen im Kreis auf dem Boden, brüten über diesen schwarzen
Kalendern. Angespannte Stimmung. Wilde Diskussionen.Kreisende Joints. Die
Wahrnehmung dringt nur gedämpft in Toms Bewusstsein. Aber Gabriel fehlt ganz eindeutig.
Auch den anderen. Und Frederik. Frederik. Ein neuer Schwall Magensäure.
Eva scheint etwas gefunden zu haben. Hektisches Gestikulieren in die Runde. Herumreichen
des nachtplan. Schnell gesprochene Erklärung. Tom hört noch zu langsam, versucht kopflose
Körper aus dem Bewusstsein zu drängen. Vager Eindruck eines sich abzeichnenden
Konsenses. Die Stimmung wird dennoch ungehaltener. Da springt Karsten auf, stapft in
Richtung Tom, packt ihn am Kragen, reißt ihn aus dem Sessel hoch. Tom hängt schlaff in den
mageren Armen des Cybers. Das Zimmer verschwimmt. Eine wütende Stimme aus dem
Irgendwo (Karsten?) „Los, rede! Sag uns, was Du weißt!" Eine Ohrfeige stellt das Bild
einigermaßen scharf. Die Bewahrer sind um Tom gruppiert, schauen ihn fest und
unnachgiebig an. Dann auf einmal ein erneuter lauter Knall. Die Tür zum Zimmer fliegt aus
den Angeln, durchquert einen Großteil des Raumes, poltert zu Boden.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(27)
Ein heimtückischer Anschlag. Das rechte Hinterrad nicht einfach platt, sondern verziert mit
einem Killernietenarmband. Wie ein zweites Profil um den Reifen herum gelegt, jede einzelne
Niete steckt tief im Pneu. „Verdammt!" Karstens Springerstiefel gräbt sich in den Kotflügel.
Seine Faust hinterlässt dazu einen Abdruck im Autodach. Der Rest starrt fassungslos auf das
Armband, fasziniert von der Haltbarkeit des Accessoires. Keiner kommt auf das, was als
nächstes folgen muß.
Schwere Stiefel treffen auf Asphalt. Viele schwere Stiefel. Und aus allen Richtungen. Die
Bewahrer stecken in der Falle. Um sie herum etwa zwanzig schwarze Gestalten mit langen
Haaren, Ledermänteln und Corpsepaints. In den Händen Messer, Ketten, Baseballschläger.
Die Bewahrer gruppieren sich um das Auto. Dann die Ruhe vor dem Sturm. Nur bricht der
nicht los. Vielmehr bleibt ein zermürbendes Patt. Weitere Schritte. Diesmal nur eine Person.
Ihr Weg endet unter einer Laterne, die Position perfekt, wie mit einem Kreuz markiert. Die
Gestalt kaum von den anderen zu unterscheiden. Ihre Haare fliegen plötzlich aus dem Gesicht
über die Schulter, entblößen schwarz-weiß. „Wir wollen den Jungen", leicht näselnde,
enervierende Stimme. Wieder Stille. Björn blickt ins Auto, auf den bewusstlosen Tom und
zurück auf den Anführer. „Niemals!" Selbst diese zwei Silben mit Schnappatmung
vorgetragen, nicht so furchtlos wie geplant.
Karsten fängt sich als erster. „Ins Auto, schnell!" Und dann bricht doch noch die Hölle los.
Die Bewahrer wachen auf, tun wie verlangt. Der Kreis wird derweil schnell enger, begrenzt
durch wehende Ledermäntel. Zwanzig Nazgul ohne Pferde. Ausgerechnet Gabriel reagiert zu
langsam, hält sich am mit lautem Kreischen startenden Auto fest. Weiß, daß es nicht warten
wird. Ketten prallen auf die Windschutzscheibe, ein Körper prallt gegen die Fahrertür, dann
ist der Kreis gesprengt. Im Rückspiegel zückt Gabriel seine Pistole, umringt von den
Metallern. Das Auto holpert um eine Kurve.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(26)
Toms Geist klinkt sich aus. Schon wieder ein Toter durch brutale Gewalt. Und er viel zu nah
dran. Totale Überforderung. Physisch repräsentiert durch eine Pfütze aus Magensäure unter
Toms Gesicht. Er schließt die Augen, wimmert vor sich hin. Dann und wann unterbrochen
von hysterischer Atmung am Rande des Kicherns. Seine Hände krallen sich in den Boden. So
wie die der kopflosen Leiche. Tom fällt schließlich auf die Seite, krümmt sich zusammen.
Selige Isolation.
Um ihn herum bricht derweil die Hölle los. Unterdrücktes Misstrauen entlädt sich in
Aggression. Björn stürmt als erster auf Sascha los, schreit vor Wut über den Verlust eines
Gefährten. Karsten hechtet hinterher. Und dieses Mal schreitet Gabriel nicht ein. Dafür
schreitet Sascha aus. Recht geschickt sogar. Seine Rechte greift dabei nach Björns linkem
Arm, packt ihn und hebelt den Angreifer aus. Da prallt Karsten gegen den Riesen. Kurzer
Taumel. Sascha schubst den Cyber zur Seite, verschafft sich Luft. Vor dem nächsten Ansturm
ein Griff in die Jacke. Zum Vorschein kommt eine Pistole. Björn rappelt sich auf, erstarrt.
Karsten hält Distanz. „Verpisst Euch!" Hörbarer Zorn. Danach zum Friedhof passende Stille
über der Szene. Gefühlte Stunden später vom Rand des Geschehens ein Klicken. Gabriel.
Auch in seiner Hand eine Pistole, gerichtet auf Sascha. „Nein, Du verpisst Dich". Leise, ruhig
und kühl, aber deswegen nicht weniger eindrucksvoll als Saschas Ausruf.
Eine Autofahrt durch die Nacht. Das Auto übervoll mit den restlichen Bewahrern und einem
bewußtlosen Tom. Frederiks Leiche im Kofferraum. Hätten sie ihn liegen lassen sollen? Der
Geruch von Blut und Tod. Betont regelkonformes Fahren, um bloß keine unerwünschte
Aufmerksamkeit zu bekommen. Jeder starrt für sich und vor sich hin. Ohne Vorwarnung
draußen ein Knall, das Auto beginnt zu schlingern, hält an.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(25)
Infernalisches Kreischen, wie aus hunderten Kehlen. Tom geht hinter der Autotür in Deckung.
Panik schießt durch seinen Körper. Dann die Erleichterung: es sind bloß Vögel.
Aufgeschreckt von... ja, wovon eigentlich? Keine wirkliche Entspannung. Schweigend
schleicht das Grüppchen weiter, betritt das unübersichtliche Friedhofsgelände. Sein
Herzschlag scheint Tom meilenweit hörbar, seine mahlenden Kiefer wirken ihm laut wie eine
Schrottpresse.
Hier kam das Ding also raus. Sascha, Gabriel und Tom sind am abgesperrten, aber weit
geöffneten Grab angekommen. Die Anderen sind um das Gelände verteilt, halten Wache.
Eher symbolisch. Sie könnten eh nichts tun. Gabriel leuchtet in das Loch. Keine Leiche, keine
Überreste eines Sarges, keine Aasfresser. Er springt hinein. Ein Fluchtimpuls lässt Tom Hals
über Kopf losspurten. Schnelle Schritte sofort hinter ihm. Hysterische Tränen verwaschen
seine Sicht. Zehn Meter, dann packt Sascha ihn am Nacken, zerrt ihn herum. „Reiß Dich
zusammen! Es wird schon nichts passieren!" Halblaut gefaucht. Zurück zum Grab. Tom
schluchzt gequält, deutlich hörbar, windet sich in Saschas festem Griff. Plötzlich ein kurzer
Schrei aus der nächsten Umgebung. Frederik? Dann wieder Stille. Gabriel gleitet regelrecht
aus dem Grab, in höchstens einer Sekunde, rennt in die Richtung des Geräusches. Sascha läuft
hinterher, hält dabei Tom immer noch im Nacken, schleift ihn mit.
Ein regungsloser Körper unter einem Baum, entdeckt durch Gabriels Lampe. Der Lichtkegel
gleitet von den Füflen hinauf. Springerstiefel. Schwarze Jeans. Ins Leere gekrallte Hände.
Eine Lederjacke, voll mit Aufnähern. Das wichtigste Identifikationsmerkmal fehlt.
Stattdessen eine Pfütze aus Blut. Trotzdem ist es eindeutig Frederik, der Metaller. Tom sinkt
auf Hände und Knie. Die Taschenlampe sucht umher, erhellt ein bleiches Gesicht auf
Fußhöhe. Dessen leerer Blick trifft Tom.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(24)
„Höllenfeuer". Gabriels nüchtern vorgebrachte Erkl‰rung für die schwarzen Klumpen,
vormals Reifen. Als habe er Löcher in den Pneus festgestellt. Die anderen Bewahrer
spekulieren aufgeregt weiter, lassen sich so nicht ruhig stellen. Fröhliche Kinder, die eine
Gruselgeschichte weiterspinnen. Leuchtende rote Wangen, ein Hauch von Abenteuer. Sind
die eigentlich wahnsinnig? Irgendetwas in Tom versucht, dessen Verstand beiseite zu
schieben. Was macht er hier eigentlich? Sascha schaut zu Tom, scheint die Frage in dessen
Gesicht zu lesen. Zu den anderen: „Habt Ihr noch ein zweites Auto? Bei mir kann auch wer
mitfahren." In Bewegung bleiben schützt vor der Angst. Misstrauische Blicke bei den
Bewahrern. Jeder will mit Tom fahren, ihn beschützen. Idioten!
Am Ende sitzen Sascha, Gabriel, Björn und Tom in dem einen Auto, die übrigen Vier in
einem anderen. Bleierne Atmosphäre. Schon wieder eine Autofahrt ohne Wortwechsel. Alle
hängen ihren Gedanken nach. Im Rückspiegel sichtbare Diskussion bei den restlichen
Bewahrern. Wahrscheinlich auch nicht angenehmer. Fahrt zu dem Ort, wo das Grauen
begann. Toms Finger krallen sich in die Sitzkante, die Knöchel sind weiß. Das Hirn auf
Autopilot. Sogar blinkende Ampeln bleiben unter der Wahrnehmungsschwelle.
Reifen knirschen auf Kies. Der Friedhofsparkplatz. „Okay, wir sind da." Nervosität in Björns
Stimme. Panik in Toms Augen. Alle außer ihm steigen aus. Das zweite Auto kommt an. Die
Insassen nun sichtlich angespannt. Bei allen sieben geschäftsmäßige Pose, konterkariert von
einzelnen Zigaretten in zittrigen Händen. Durch das Autofenster gedämpfte Gespräche. Tom
beginnt zu wimmern, reißt sich irgendwie wieder zusammen. Gabriel öffnet die Tür. „Komm,
wir müssen los." Seine bemüht beruhigende Stimme klingt für Tom wie die eines
Scharfrichters. Mechanisches Aussteigen. Plötzlich explodiert das Friedhofsgrün vor
Bewegung.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(23)
„Was zur Hˆlle soll das?" Wütendes Blitzen in Gabriels Augen. Sascha tritt ungerührt durch
die Tür. Die Bewahrer verteilen sich taktisch klug im Raum, sichtbar beeindruckt von dem
Berg aus Muskeln und Tinte. Tom überzeugt als Salzsäule. „Ich bin hier, um Tom nach hause
zu bringen." Gleichzeitig ein lässiger Griff in die Jackentasche. Verschärfte Anspannung bei
seinen Gegenübern. Dann in Saschas Hand ein Polizei-Ausweis.
Hinterzimmer-Diplomatie. Sascha ist also Zivilpolizist und ein Bekannter von Wolfgang,
nach Toms Verschwinden um Hilfe gebeten und sozusagen auf ihn angesetzt. Misstrauen bei
den Verschwörern. Tom werde nicht „herausgegeben". Zu gefährlich. Anschwellender Streit,
Tom nur dabei statt mittendrin. Sascha könne jederzeit Kollegen rufen und alle festnehmen
lassen. Toms Retter wollen nur dann keinen Polizisten angreifen, wenn es sich vermeiden
lässt. Saschas riesige Faust lässt den Tisch erzittern. Björn springt auf, stürmt auf ihn zu.
Sascha packt ihn, schubst ihn aber nur wieder zurück, fast spielerisch. Die Situation kippt.
„Aufhˆren! Ich hab eine Idee." Ein gereizter Gabriel bestätigt seine Führungsrolle, bewahrt
als einziger die Vernunft.
Atmosphärisches Abrüsten. Am Ende eine vage Einigung auf Unentschieden. Sascha wird
vorerst mitkommen und so auf Tom aufpassen. Kein Erwähnen geheimer Nachrichten aus
irgendwelchen Kalendern. Man beschließt, zum Friedhof zu gehen und nach Spuren zu
suchen. Toms Magen erinnert sich spontan an seine einzige Achterbahnfahrt. Oder an etwas
Anderes mit gleichem Effekt, das das Hirn lieber vergessen will. Das gewachsene Grüppchen
verlässt den Club. Die Nacht stinkt nach verbranntem Gummi. Am stärksten um Chris´ Auto.
Dessen geschmolzene Reifen kleben die Felgen auf dem Parkplatz fest.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(22)
Die meinen das ernst! Tom soll also als Lockvogel für das Ding vom Friedhof herhalten,
damit die Bewahrer versuchen können, es irgendwie zu bekämpfen. Gabriel hört Björns Plan
nur stumm zu, nickt hin und wieder. Toms Gegenwehr durchläuft Wut, Verzweiflung und
Hysterie, um in stiller Resignation zu enden. Schließlich Björns siegessicheres Lächeln und
stolz leuchtende Augen in Gabriels Richtung. Der atmet dramatisch lang und h&ozml;rbar aus.
Dann: „Nein". Einfach und entschlossen. Das ist alles. In Toms Finger fließt das Blut zurück.
Eine Atmosphäre wie im Schnellkochtopf. Björn und die anderen zwischen Empörung und
Ehrfurcht, Gabriel seelenruhig. Er zückt ein kleines schwarz-weißes Heftchen. „Schaut selbst
nach." Nervöses Grabschen nach dem neuen nachtplan, konzentriertes Blättern. Zehn Augen
prüfen jeden Buchstaben, sichtbar unzufrieden mit dem Ergebnis. „Aber wir haben endlich
eine Chance, ihm den Rest zu geben"; Björns Stimme ist die eines Unterlegenen, sein Blick
weiter auf den Kalender geheftet. Keine Reaktion von Gabriel. Karsten lässt sich frustriert in
einen Sessel fallen. „Wir müssen also noch warten?" Gabriel nickt einmal, fast nicht
wahrnehmbar. Tom ist gerettet. Für den Moment.
Die Tür öffnet sich erneut. Eins der Thekenmädels kommt rein. „Da draußen steht wer, der
sagt, er kennt Tom." Ein Stromstoß durch alle Körper. Blicke zwischen Angst und Misstrauen
aus allen in alle Richtungen. Gleichzeitig. „Aber, wie..". Der Rest von Chris´ Frage
aufgefressen von Bestürzung. Fast synchrones Aufstehen der Bewahrer. Schwarmbewegung
in Richtung Notausgang. „He!"das Thekenmädel Tom dreht sich um. Sie wird zur Seite
gestoßen. In der Tür tatsächlich ein bekanntes Gesicht.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(21)
Tom muß tot sein. Oder sowas. Um ihn herum leise klassische Musik. Die frisch geöffneten
Augen geblendet von gleißendem Licht. Nach einigen Malen Blinzeln ist er aber nur noch auf
einem Kanapee in einem Hinterzimmer. Dann über ihm ein weibliches Gesicht mit
strahlendem Lächeln und umrahmt von goldenen Locken. „Es ist alles in Ordnung, Du bist in
Sicherheit". Wie gern würde Tom ihr glauben.
Seit einer Stunde ist Kriegsrat. Tom dröhnt der Schädel. „Die Bewahrer der Vernunft" nennt
sich dieses Grüppchen also. Dafür reden die aber ganz schön verrücktes Zeug. Björn scheint
der Chef der Spinner zu sein. Dazu Chris aus dem Auto, die Blonde, die natürlich Eva-Marie
heißen mufl, Frederik, der Metaller aus dem Club, und Karsten, ein Cyber. Angespannte
Stimmung. Einer fehlt wohl noch. Diskussion über irgendwelche Nachrichten. Die
Nachtpläne werden hektisch rumgereicht, beäugt, kommentiert. Zwischendurch Andeutungen
und verstohlene Blicke in Toms Richtung. Keine Erklärungen. Schließlich ein Plan. Tom soll
den Lockvogel für das Ding vom Friedhof spielen, damit die Bewahrer es dann bezwingen
können, wenn es auftaucht? Völlig aberwitzig! Geradezu hirnverbrannt! Die fünf reden auf
Tom ein, der protestiert mit aller Macht.
Die Tür öffnet sich knarrend. Der Streit endet abrupt, alle Augen in Richtung des
Eintretenden. Sichtbare Erleichterung bei Björn und den Anderen. Alle begrüßen sich freudig.
„Tom, das ist Gabriel, Gabriel, das ist er", stellt Björn beide einander vor. Der Kerl war Toms
Retter bei der Auto-Attacke! Björn guckt von einem zum anderen, irritiert wegen Toms
Gesicht. „Ihr... Ihr kennt Euch?" „Wir sind uns in einer Disko ¸ber den Weg gelaufen".
Gabriels Antwort mit fester Stimme. Bedeutungsschwangerer Seitenblick zu Tom. Der kann
endgültig nicht mehr folgen, nickt nur sprachlos und verwirrt.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(20)
Stille Lähmung. Tom schaut panisch zu Björn, der ebenso zurück, einen Finger auf den
Lippen. Lautloses Aufstehen, zur Computerecke deuten. Tom nickt, weiß bescheid. Erneutes
Klopfen. Beide zucken zusammen. „Mach auf, ich bin es." Eine Tom unbekannte männliche
Stimme. Björn atmet laut und erleichtert aus, geht zur Tür, öffnet sie, zieht jemanden fast
gewaltsam rein, schließt sie wieder. Ein dürrer Typ, ganz in schwarz, blaß, mit wirren Haaren
und vermutlich in Toms Alter. Alle Drei packen hastig einige Stapel Papier - besonderes
Augenmerk auf die Kalender - und machen sich dann schnell auf den Weg nach draußen.
Björn fährt. Wieder rasend schnell. Immer noch sagt keiner ein Wort. Dann der Neue zu
Björn: „das war sauknapp". Der nickt nur, guckt konzentriert auf die vorbeifliegende Straße.
Nach einer Ewigkeit: „wir müssen zu den anderen". Diesmal nickt der Neue stumm. Björn
fährt bei rot über eine Kreuzung. Einige Meter weiter hält er auf einem Parkplatz. Die beiden
steigen aus, bedeuten Tom zu folgen.
Eine Disco? Tom denkt an alles andere als ans Feiern. Gitarrengedresche aus den Boxen.
Überall langhaarige Mattenschwinger und ein wenig schwarzes Electro-Volk. Ein paar
Pandabären hier und da. Flashback an den Friedhof. Toms Knie werden weich, er muß sich an
einem Tisch festhalten. Seine Begleiter unterhalten sich derweil angeregt mit einem bärtigen
Metaller mit Kutte. Schön abgelegen in einer Ecke. Tom wird schwindelig. Der Raum dreht
sich im Tempo der Doublebass. Die Finger zu schwach, den Tisch zu halten. In der Ecke
kriegt keiner was mit. Die Musik klingt plötzlich dumpf, dann bricht Tom zusammen.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(19)
Der ist total wahnsinnig! Björn, der Fahrer spricht so schnell wie der Wagen fährt - mit
Vollgas durch die Nacht. Und ebenso konfus. Tom kann weder Strecke, noch Monolog
folgen. Irgendwas vom Ende der Welt. Ja ne, ist klar. Unter der totalen Apokalypse geht bei
modernen Verschwörungstheoretikern wohl gar nichts mehr. Beim Schlittern um eine Kurve
dann auch eine Wendung im Gespräch: Tom stecke in der ganzen Sache tief mit drin. Was?!
„Details kann ich verständlicherweise jetzt noch nicht erzählen." Tom will nur raus aus dem
Auto, trotz des einsetzenden Regens.
Björns Wohnung ein überdimensionierter Altpapiercontainer. Überall Zeitungen, Fotos,
Bücher mit Eselsohren. Um den PC herum eine Sammlung von Terminkalendern. Hey, das
sind ja alles Gothic-Parties und Konzerte in der Umgebung. Wenigstens hat der Spinner
Geschmack. Und wow, ist hier eine Menge los, da reicht ja ein Monat für zwei Generationen
in Wunstorf. Vielleicht sollte Tom morgen Abend... „Finger weg von den Nachtplänen!" Hä?
Verwirrung statt Aufklärung: mit denen kommuniziere Björns Gruppierung, eine Art
Gegenverschwörung untereinander. Nervöses Lachen bei Tom. Direkt erstickt durch den
Hinweis, daß Toms Ankunft die letzte Nachricht war. Zusammen mit der Ankunft von
jemand - etwas - Anderem.
Björn hackt sich seelenruhig was auf, schweigt voll konzentriert. Tom stammelt hektisch,
will wissen, was hier los ist. Arme fuchteln durch die Luft. Draußen wird aus Regen Gewitter.
Der Imperial March ertönt - Björns Handy. Der nimmt wortlos ab. Augenaufreißen, Nicken,
„Okay, danke„, Auflegen, Blick zu Tom. „Wir müssen weg, schnell!" Schwere Schritte auf
dem Flur, es klingelt an der Tür. „Scheiße!"
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(18)
Großalarm. Warnblinkanlagen und Hupen von mehreren gerammten Wagen.
Toms Angreifer rast davon, mit Reifenquietschen um eine Kurve. Außer Sicht.
Die ersten erleuchteten Fenster. Menschen betreten die Straße, wild
gestikulierend, laut redend. Tom und sein Retter etwas abseits,
seltsamerweise unbeachtet. „Du solltest jetzt gehen." Der Alte spricht ruhig
und bestimmt, unberührt vom Chaos um ihn herum. Tom atmet merklich
schneller. Irgendjemand - Irgendetwas? - hat gerade versucht, ihn
umzubringen, verdammt! Er widerspricht, will auf die Polizei warten, aber erntet
nur Kopfschütteln. „Die kann Dir nicht helfen." Mühsam unterdrückte Hysterie.
Wenn der wüßte, wie Recht er hat. Dann ein plötzlicher Gedanke: wenn
Wolfgang hier auftaucht... Tom muß wirklich weg! Die ersten Sirenen sind
bereits hörbar. Unnötig vorsichtiges Davonschleichen.
Allein durch die Nacht. Gedanken überschlagen sich. Anspannung bei jedem
nahenden Auto. Immer wieder hektisches Umdrehen. War da was im
Augenwinkel? Das Laufen eher ein Stolpern. Vorbei an einem Elektrogeschäft.
Ein Fernseher im Schaufenster zeigt Nachrichten. Ein Reporter vor dem Haus
von Wolfgang und Michaela. In fast jedem Zimmer Licht. Vor dem Haus mehrere
Polizeiwagen. Der Ausflug ist aufgeflogen.
Statt Nachrichten schon lange Werbung, Telefonnummer nach
Telefonnummer. Tom starrt durch das Schaufenster ins Leere. Gedanken-Tetris
im Turbomodus. Der Körper eher ein Monoblock. Ein Auto fährt die Straße
entlang, Gaspedal am Anschlag. Abruptes Bremsen direkt hinter Tom. Der wird
wach, zuckt zusammen. Unfähig sich umzudrehen. Die Beifahrertür wird
aufgestoßen. „Los, steig ein!".
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(17)
Raus hier! Streß mit Wolfgang und Michaela, ein miserables
Fernsehprogramm, seit Tagen eingesperrt. Tom will endlich frische Luft.
Scheiß auf überirdische Psychopathen aus der Gruft. Und außerdem: es
ist Wochenende. Also rein ins Party-Outfit und raus aus der Wohnung -
aber diesmal überlegter.
Immer abwechselnd Schleichen, Warten, Sprinten und wieder warten.
Dank Google Earth ist der Weg zu einer perfekt gelegenen Bushaltestelle
genau bekannt. Der dicke Polizist steht zwar einmal direkt vor Tom, aber
bemerkt ihn nicht. Das Herz hämmert, das Blut rauscht in den Ohren.
Weiter geht's. Da! Die Haltestelle. Und nur wenige Minuten, bis der Bus
kommt. Sauber geplant. Innerer Jubel.
Portemonnaie vergessen. Wie blöd kann man sein? Endloses Sitzen an
der Bushaltestelle. Vielen Dank an den vermutlich einzigen Busfahrer, der
tatsächlich Fahrkarten sehen will. Frust läßt eine Stahlkappe laut mit
einem Mülleimer kollidieren. Was nun? Zurück? Auf keinen Fall. Tom
macht sich auf den Weg durch die Nacht, vielleicht zur Disko. Ein langer
Spaziergang, die Richtung nur grob bekannt. Aber Hauptsache mal
Abwechslung. Die Straße menschenleer. Von hinten nähert sich ein Auto,
rast heran. Tom, plötzlich mitten im Scheinwerferlicht, dreht sich
erschreckt um. Der. Hält. Voll. Auf. Ihn. Zu! Tom öffnet den Mund zum
Schrei, kriegt sonst keine Bewegung hin. Immer noch genau in der
Fahrlinie. Ein Aufprall. Aber warum von der Seite? Und wo bleiben die
Schmerzen? Toms Mantel weht im Fahrtwind des vorbeifahrenden
Wagens. Eine bekannte Stimme. „Du solltest nicht hier sein." Tom schaut
verwundert auf. Der Fremde aus der Disko.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(16)
Blinddarmdurchbruch. „Sie hatte Glück, daß halb Deutschland zugesehen
hat, als sie zusammengebrochen ist und deswegen sofort ein
Rettungswagen unterwegs war." Wolfgang guckt ernst. Tom nickt
zögerlich, glaubt nicht an einen Zufall. Irgendwas geht hier vor. Und er
mittendrin als der unfreiwillige Hauptdarsteller einer psychopathischen
Seifenoper.
Am Nachmittag, alle arbeiten, Tom allein zuhaus. Den Fernseher
endgültig abgeschaltet und mit einem tiefen Gefühl der Befriedigung den
dritten Anruf von Sandra weggedrückt. Die dritte SMS wegen einer
Mailboxnachricht, dann Totenstille. Aus Ruhe wird schnell Langeweile. Die
Terrassentür zieht Tom magisch an. Dahinter ein großer Garten -
natürlich mit ordentlichen Beeten. Von der großen Freiheit nur getrennt
durch einen kleinen Jägerzaun. Bevor er es richtig bemerkt, ist Tom schon
auf der anderen Seite, in einem kleinen Waldstück. Er beginnt zu laufen,
zuerst vorsichtig, dann immer schneller. Hinter ihm plötzlich Schritte,
immer schneller. Sie verfolgen ihn. Erinnerungen an die Schwarzmetaller
kommen hoch. Jemand wirft sich auf Tom. Einer von Wolfgangs Kollegen,
stellt sich heraus, dessen Grinsen etwas zu triumphal wirkt. Ein anderer
Polizist kommt hinzu, scherzt zu seinem leicht übergewichtigen Kollegen:
„soviel Tempo hätte ich Dir gar nicht zugetraut". Das Grinsen
verschwindet.
Später dann Wolfgangs Standpauke, jäh unterbrochen von seinem Handy.
„Ja?" Wut weicht Irritation. „Was?! Du verarschst mich!" Kurzer Blick zu
Tom. Der wird unruhig, eine finstere Ahnung steigt in ihm hoch. „Warte
mal bitte kurz." Wolfgang verläßt den Raum, gerade so eben gefasst,
kehrt kurz darauf mit steinerner Miene zurück, sagt tonlos: „Die Leichen
der Rocker-Kids sind verschwunden; keine Ahnung wie oder wieso".
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(15)
Panik. Freude. Beides gleichzeitig. Lilith kommt ihn besuchen! Sie mag ihn. Und Tom
ausgerechnet jetzt in Schlabberklamotten und völlig neben der Spur dank
dröhnendem Schädel. Er schaltet den Fernseher an. Lilith steht vor der Tür,
ausgehfertig gestylt. Wow! Wolfgang bittet sie herein. Maximaler Zoom auf die
Haustür.
Die Zimmertür öffnet sich. Tom bis zum Hals unter der Wolldecke. Lilith schwebt
regelrecht herein. Keine Spur vom Hauspolizisten. Distanziert-freundliche
Begrüßung. Sie setzt sich auf einen Sessel. Kurzer Smalltalk, dann die Frage nach
der Nacht auf dem Friedhof. Tom erzählt, was er weiß. Und was er kann, ohne als
irre zu gelten. Auf dem Sessel elektrisiertes Staunen. Unvermittelt ein liebreizendes
Lächeln. Lilith setzt sich zu Tom auf die Couch, streicht ihm übers Haar. Beide
Gesichter kommen sich immer näher, ihr knappes Kleid rutscht höher... „Äh, Tom?"
Aus der Traum. Lilith immer noch gegenüber auf dem Sessel. Abwartender Blick.
Mist, er soll wohl was sagen. Nervöses Gestammel. „Du wirkst mitgenommen. Ich laß
Dich lieber allein." Nein! Freundlicher Abschied und Tom bleibt nur noch der
Fernseher, um sie ein wenig länger zu betrachten.
Lilith verlässt das Haus. Die Journalisten kommen in Bewegung. Sie geht die Straße
entlang. Mit einem Mal ist ihr Gesicht schmerzverzerrt. Dann ein qualvoller, langer
Schrei. Auf den Bauch gepresste Hände. Sie bricht zusammen, immer noch
schreiend. Live auf allen Kanälen. Zoom auf das gekrümmt herumzuckende
Mädchen auf der Straße. Im Hintergrund hektische Reporterstimmen. Tom starrt
fassungslos auf das Fernsehbild, Mund und Augen immer größer. Was zur Hölle...?
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(14)
„Sie sind überall!„ Wolfgang ist wütend. Selbst im Krankenhaus tauchen die
ersten Pressefuzzis auf. Da braucht man auch keine Gehirnerschütterung, um sich
zum Kotzen zu fühlen. Aber Tom hat momentan ganz andere Sorgen. Was zur
Hölle war das auf dem Friedhof? Und warum lebt er noch? Eins ist ihm klar: bloß
keine Aussage machen. Wolfgang und Andrea sind zwar echt ätzend, aber
vermutlich harmlos im Vergleich zu einer Irrenanstalt. Ein Polizist betritt
irgendwann den Raum mit Entlassungspapieren. Endlich.
Fluchtartige Heimfahrt. Vor dem Haus zwei Ü-Wagen. Wolfgang greift auf dem
Weg zur Tür beherzt durch. Danach klingelt nur noch das Telefon Sturm.
Talkshow-Einladungen und Bitten um Interviews. Ein ehemaliger Bild-Redakteur,
der sich als Ghostwriter für Toms Memoiren anbietet. Der Anrufbeantworter
zeichnet alles auf. Bis zum Überquellen. Die andere Fraktion draußen sind die
Polizisten. Falls der Täter seinen Zeugen ausschalten will. Tom stellt sich fast
belustigt die verzerrten Gesichter der Schwarzmetaller auf den Fotos mit
Schnauzbärten vor. Nein, besser: live im Fernsehen. Zur besten Sendezeit.
Tom selbst liegt auf dem Sofa. Glotze bis zum Augenbrennen. Beim Zappen
immer wieder der Friedhof und eine wohlbekannte Wohnhausfassade. Er schaltet
ab. Langeweile. Kopfschmerz. Dazu im Haus gereizte Stimmung sowie
unausgesprochene Fragen und Vermutungen. Einfach alles wegzuschlafen wär
super.
Die Lider sinken eh wie von selbst. Hinter ihnen schimmert es plötzlich
grün. Tom zuckt hoch, sieht mit aufgerissenen Augen genau in Wolfgangs
Gesicht. „Kennst Du eine Liane? Sie steht draußen und sagt, sie sei eine Freundin
von Dir. Sie fragt, ob sie Dich besuchen kann."
Tom nickt. Völlig verwirrt.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(13)
Tom kotzt, bis es schmerzt. Sein Magen längst leer, nur noch krampfhaftes Zucken.
Überhaupt tut alles weh. Sein Kopf, im dicken Verband, pulsiert wie ein Club zur besten
Partyzeit. Nur nicht annähernd so unterhaltsam. Sehnen und Muskeln brennen. Die
Krankenschwester stellt die fast leere Nierenschale auf Toms Brust. Warum ist er hier? Hat
ihm jetzt doch mal wer was ins Glas getan?
Vor dem Bett zwei verschwommene Gestalten. Eine könnte Wolfgang sein, die andere
erkennt Tom nicht. Der eine kommt näher - es ist Wolfgang. „Tom, ich habe absolut keine
Ahnung, was passiert ist, aber Du bist der Einzige, der uns helfen kann." Nervöse, besorgte
Stimme. Irgendwas mit einem Friedhof und mehreren Toten, furchtbar entstellt. „Das ist
Kriminaloberkommissar Berger, Leiter der SoKo Friedhof, er würde sich gern mit dir
unterhalten." Der andere kommt näher, eine Aktenmappe gezückt. Könnte ein Bruder von
Wolfgang sein. Ein Blick und die Schwester geht hinaus. Unappetitliche Fotos von sechs
Leichen, übelst zugerichtet. Fast schlimmer sind ihre panischen Gesichtsausdrücke unter
verschmiertem Make-Up. Tom schüttelt unsicher den Kopf. Aber was zur Hölle hat das mit
ihm zu tun? Gerede von einem Serienkiller und Tom als vermutlich einzigem Zeugen. Ein
Foto von ihm mit blutüberströmtem Gesicht. Vorsichtiges Tasten zum Verband, aber immer
noch keine Erinnerung. Dafür wummert der Schädel nur noch mehr.
Die beiden Polizisten verlassen den Raum, sichtlich unzufrieden. Tom starrt an die Decke,
nach draußen zu gucken tut weh. Zu hell. Schöne Scheiße, in die er da geraten ist. Plötzlich
verschiebt sich der ganze Raum, Winkel und Wände biegen sich. Mit einem Mal kehrt sein
Gedächtnis zurück.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(12)
Toms ganzer Körper ein einziger Schmerz. Er rennt. Ums Überleben? Seitenstechen
und Lungenbrennen. Hätte er bloß nicht ständig den Sportunterricht geschwänzt. Die
Wurzeln scheinen nach seinen Füßen zu angeln. Äste peitschen sein Gesicht. Der
Mantel fliegt und verfängt sich oft in den Büschen. Hinter ihm sechs johlende
Schwarzmetaller. Für die ist das wohl gerade wie Fangen Spielen auf dem
Abenteuerspielplatz. Nur daß hier statt Schaukeln Grabsteine stehen. Fürs Ambiente
sorgen zusätzlich Gewitter und Vollmond.
Tom strauchelt. Lange hält er das nicht mehr durch. Extremer Drang zu Kotzen.
Plötzlich gurgelnde Laute aus einer menschlichen Kehle hinter ihm. Das Geschrei
seiner Verfolger verändert sich. Aus Spaß wird Todesangst, ohne den Umweg über
Furcht. Bloß nicht umdrehen. Qualvolle Schreie aus einer zweiten Kehle. Die Panik
hinter Tom wird fühlbar, greift auch nach ihm. Nach einem Geräusch ähnlich einem
plötzlich gespannten Tau verstummt der dritte von sechs Peinigern. Jemand ringt
verzweifelt nach Luft, ein vierter Körper fällt zu Boden. Dann prallt irgendetwas
Hartes dumpf gegen einen Baum. Bersten von Rinde oder Knochen? Scheiße, was
ist da los? Der letzte Metaller ruft um Hilfe. Dann verstummt auch dieser röchelnd.
Tom ist nicht erleichtert. Im Gegenteil. Alle Verfolger außer Gefecht. Dafür deren
Jäger hinter ihm. Ein giftgrünes Leuchten dringt von hinten in sein Sichtfeld. Er fängt
vor Angst an zu heulen, rennt aber weiter, gibt alles, sieht mittlerweile kleine Punkte
über den Friedhof tanzen. Ein Blitz beleuchtet einen dicken Ast vor seinem Gesicht.
Ein letzter Gedanke: „Scheiße, das wars." Direkt danach wird die Welt schwarz wie
die Seele von Tilo Wolff.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(11)
Mit dem Rücken zur Wand. Vor Tom der Tisch. An einer Seite eine weitere Wand. An
der anderen der glatzköpfige Schrank. „Du bist also der Neue?" Eine Stimme wie Till
Lindemann. Tom sinkt weiter in sich zusammen. „Ich bin Micha" eine Pranke schiebt
sich in Toms Richtung, zerquetscht kurz darauf fast seine Hand.
Feierabend. Erschöpftes Herumvegetieren auf dem Sofa. Draußen ein aufziehendes
Wärmegewitter. Toms Handy klingelt - Sandra. Och nö, nicht jetzt. Dann ein zähes
Telefonat von „wie geht's Dir?" über „wie war Dein Tag?" bis irgendwann zur
Auflösung: „Tom, ich hab am Wochenende wen kennen gelernt". Verbaler Stromstoß
mit 50.000 Volt. Toms Gesichtszüge entgleisen. Danach das obligatorische Angebot
zum Freunde bleiben. Tom muß hier raus.
Orientierungsloses Umherwandern bis zum Aufwachen auf einem alten Friedhof.
Überall verwitterte Grabsteine voller Moos. Da hinten, der flackernde Schein von
Feuer. Ein Blitz zuckt, Tom auch. Donner grollt direkt danach, Tom zuckt wieder.
Vorsichtiges Schleichen in Richtung Licht. Eine menschliche Motte. Der Ledermantel
knarzt.
Tom kauert sich hinter einen Grabstein in den Schlamm, späht vorsichtig in Richtung
der Fackeln. Pandabären auf zwei Beinen?! Sechs Stück! Nein, halt, doch nur
Schwarzmetaller. Scheiße, graben die da etwa eine Leiche aus? Das Geräusch von
Metall auf Holz aus dem Loch. Einer springt hinein. Kurz darauf taucht ein modriges
Gesicht auf, dann weitere Überreste eines Körpers. Würmer und Maden fallen
herunter. Heiteres Gelächter um das Loch herum. Tom fängt an zu würgen, muß sich
schließlich lauthals übergeben. Das Gelächter verstummt. Beim Aufschauen blickt
Toms in fünf Augenpaare.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(10)
„Ab morgen keine Piercings, eine weniger wilde Frisur, keine Schminke!" Na super.
Der erste Arbeitstag knüpft nahtlos an ein Scheiß Wochenende an. Gestern
Beerdigungsatmosphäre und unterdrückte Gereiztheit im ganzen Haus (Dabei saß
Sascha am Steuer, Tom nur hinten - unfair!), heute dann der Pflegedienstleiter. Total
verknöchert. Die Alten kriegen doch eh nicht mit, wie Tom rumläuft.
Nach dem Papierkram das Vorstellen beim anwesenden Personal. Gequälte
Gesprächsversuche verebben in Rekordzeit. Die Namen auch direkt wieder
vergessen. Dann Führung durch alle Zimmer mit Robert, irgendeinem der Pfleger.
Eine Alte beschimpft Tom als Satanist - trotz weißer Pflegerkleidung. Ist ja klar:
Satanisten pflegen immer alle, die nicht mehr alleine klarkommen. Zwei Zimmer
weiter Herr Hessel. Der Name prägt sich direkt ein. Seine Reaktion auf die
Begrüßung: „Früher hätte man sowas wie dich vergast". Das obligatorische
Weltkriegsveteranen-Nazi-Arschloch also. Aber wenigstens ist er auch heute noch
nicht im Widerstand gewesen wie der ganze Rest seiner Generation mittlerweile.
Tom steht nur da, überfordert. Robert versucht, die Situation zu entschärfen; Herr
Hessel schreit los. Bloß raus aus dem Zimmer. „Stör Dich nicht dran, dem passt gar
nichts." Tom fühlt sich so gar nicht beruhigt. Die anderen ¸Insassen' entweder
zurückhaltend höflich, sediert oder vor sich hin sabbernd und brabbelnd.
Pause. Die nächste Schicht ist teilweise schon da. Getuschel verstummt, als Tom
den Raum betritt. Ein Augenpaar konzentriert auf eine Hausfrauenzeitschrift, die
anderen ruhen auf Tom. Der setzt sich möglichst abseits. Dann einer der ¸neuen'
Pfleger - groß, breit, kurze Haare, Stiernacken - setzt sich plötzlich direkt neben ihn.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(9)
Gleißendes Licht. Die Taschenlampe direkt vor Saschas Gesicht. "Haben Sie Alkohol
getrunken?" "Ein Bier vor ein paar Stunden." Die Stimme nervös, die Aussprache
leicht lallend. Die Reaktion ein Anflug von Grinsen für Bruchteile einer Sekunde.
Dann ein routinierter Vortrag über Pusten, Blutkontrolle und dergleichen. Betretene
Stille im Wagen. Die obligatorische Frage nach Führerschein und Fahrzeugpapieren.
Ein Kollege kommt dazu. Kurzes Gespräch zwischen beiden, unhörbar. Sascha
verkrallt sich ins Lenkrad. Ein großer Schnurrbart taucht im Seitenfenster auf.
Herumschweifender Blick.
Tom erschrickt. ‚Onkel´ Wolfgang! Der sieht Tom, öffnet seinen Mund. Fixiert Tom,
schließt seinen Mund wieder. Der Kopf verschwindet. Erneutes Flüstern der
Polizisten. Dann Wolfgangs Gesicht wieder im Fenster. "Ist einer von Euch noch
fahrtauglich?" Kaum verborgener Ärger in der Stimme. Ein Blick hält Sascha von
einer unklugen Antwort ab. Zögerlich meldet sich Sven. "Dann tauscht die Plätze und
seht zu, daß Ihr weg kommt, bevor wir es uns anders überlegen." Die Worte fast
ausgespuckt. Schneller Fahrerwechsel, Scheibe hoch, Abfahrt. Unsichtbare
Fragezeichen über drei von vier Köpfen.
Den Rest der Fahrt Schweigen. Die Musik im Auto trotzdem kaum hörbar. Keiner
denkt dran, sie wieder lauter zu stellen. Nach Äonen erster Stopp bei Tom.
Schlafende Reihenhaussiedlung, nur durch ein Fenster scheint Licht. Tom weiß, daß
es ein Wohnzimmerfenster ist. Und wessen. Noch eine sehr knappe
Verabschiedung, dann steigt er aus. Die anderen fahren weiter. Tom greift auf der
Treppe nach dem Schlüssel,
als die Tür sich wie von selbst öffnet.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(8)
Nichts. Alle Taschen durchsucht, mehrfach. Kein Portemonnaie. Dafür aufkommende
Panik. "Dann geh halt noch mal drinnen gucken." Hätte ihm auch selbst einfallen
können. "Okay, mach ich." Tom rennt den Flur entlang zur Halle, die Augen auf den
Boden gerichtet.
"Thomas Worchert?" Eine unbekannte Stimme von schräg hinter ihm. Wer kennt hier
seinen Namen? Irritiertes Umdrehen. Der Typ ist ziemlich alt, mindestens 30. Schwer
einschätzbares Gesicht und dazu kurzes, schwarzes Haar ohne Schnickschnack. Die
Kleidung dezent und schwarz. In der Hand hält er Toms Portemonnaie. "Du hast da
was verloren." Tom glotzt, regungslos aus Überforderung. "Ich hätte nicht gedacht,
daß jemand hierfür so weit fährt", fängt der Finder mit einem Grinsen an, "is´ ja
ziemlich 08/15 hier." Tom bleibt stumm. Was soll man dazu sagen? "Äh, Danke",
kommt schließlich eine verspätete Antwort aus seinem Mund. Das Grinsen seines
Gegenübers wird breiter. "Pass´ das nächste Mal besser drauf auf, wenn Du
irgendwelchen magersüchtigen Cybers beim Karate zuguckst." Der Fremde drückt
Tom dessen Besitz in die Hand und läßt ihn verdutzt stehen.
Mit erleichtertem Gesicht kehrt Tom zu den wartenden Anderen zurück, das
Fundstück glücklich in die Höhe haltend. Nach dem Bezahlen stiller Weg zum
Parkplatz. "Fahren wir endlich." Sascha torkelt zur Fahrertür. Alle steigen ein, Tom
zögert und schaut unsicher zu Lilith. "Das paßt schon. Los jetzt!" Lilith klingt etwas
gereizt. Tom steigt ein.
Drei Straßen weiter der Schock: "Scheiße, Polizeikontrolle!"
Sascha stopft sich hektisch Kaugummis in den Mund.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(7)
Was ist jetzt los? Erschrecktes Umdrehen. Hinter Tom ein Junge, kaum älter als er selbst, aber
mindestens einen Kopf größer. Noch größer wirkend durch seinen hageren Körper und die
hoch aufragenden Haare voller Plastikschläuche, zusammengehalten von einer
Schweißerbrille. Daneben ein Mädchen, nur anhand des Beinkleides von ihrem Nachbarn zu
unterscheiden − Lackhose mit Schnallen und Gurten gegenüber knappem Lackmini. Selbst
ihren kleinen Brustansatz übersieht Tom auf den ersten Blick. Er beginnt fasziniert, das
Pärchen anzustarren. Beide bewegen sich jetzt nebeneinander stehend und fast synchron zu
den harten, geraden Beats des einsetzenden Hellectro-Tracks. Tom ist begeistert. Das hat er
noch nie gesehen. So will er auch tanzen können! Er prägt sich alles ganz genau ein, um
zuhause zu üben.
Saschas Blick wird spürbar. Die anderen Typen grinsen. Ach ja, die Frage, was Tom hier
mache. "Äh, ich komm aus einem voll langweiligen Kaff und mußte einfach da weg." Nicht
ganz gelogen... Unsicherer Blick in die Runde. Zu Lilith. Sie schaut verständnisvoll. Keine
weiteren Fragen. Kurz darauf unterhält sich die Gruppe wieder amüsiert, lästert. Tom steht
daneben. Verdammt, kein guter Einstand.
Irgendwann Aufbruchstimmung. "Sollen wir Dich mitnehmen? Wo mußt Du denn hin?"
Liliths Frage. Sie mag ihn also doch. Vielleicht sogar mehr? Innen Jubel, außen Erröten beim
Antworten. "Da kommen wir grob dran vorbei. Gut, dann nehmen wir dich mit", lächelt
Lilith. Sascha scheint nicht begeistert. Auf dem Weg zur Kasse greift Tom zu Geld und Karte.
"Mist, ich hab mein Portemonnaie verloren." Als Antwort Blicke irgendwo zwischen Mitleid
und Genervtsein.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(6)
Selbstzweifel. Schon wieder eine gute Vorlage vergeigt und Lilith lacht glockenhell. Gnade
oder Häme? Kaum Erfahrung im Umgang mit Mädchen. Nervöses Festhalten an der Flasche.
Ein Schluck Bier unterbricht den zähen Gesprächsfluss. Zeit zum Nachdenken. Sie scheint ihn
zu mögen. Kein Gedanke an Sandra.
Lilith führt Tom zu dem Grüppchen, das sie vorher wegen ihm hat stehen lassen und stellt
jeden vor. Sascha, einer von ihnen, ist Musiker, sucht gerade ein Label für sein Projekt
‚Necrophiliak Tendencies´. "Aber mit ´nem k! Voll harter Industrial mit viel Distortion und
echt bösen Vocals" beschreibt er es hörbar alkoholisiert. Allein für die tätowierten, riesigen
Oberarme hätte er nach Toms Meinung einen Vertrag verdient. Die Blonde stellt sich als Dark
Angel vor, aber Tom dürfe sie Katrin nennen. Sie steht neben Frank, ihrem Freund. Der ist DJ
und kennt anscheinend so ziemlich jede Band persönlich. Der dritte Testosteron-Bolide hat
die wohl größte mp3-Sammlung weit und breit. Sven sein Name. Lilith heißt eigentlich Liane
und modelt neben der Schule. Nächstes Jahr Abi, dann mal sehen. Ihr Fotograf heißt Christian
und hat sogar schon Blutengel backstage fotografieren dürfen. Toms Augen glänzen. Alle in
der Szene aktiv. Und er ist dabei!
Dann die unvermeidliche Frage, wer er sei und was er mache. Peinliches Schweigen. Wie
verpackt man ‚Neuling aus der Provinz´ möglichst cool? Oder ‚angehender Altenpfleger´?
Tom kramt nach eindrucksvollen Highlights in seinem kurzen Szeneleben, als er plötzlich
unsanft zur Seite gestoßen wird. "Mach mal Platz da."
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(5)
Toms erste schwarze Party im Ruhrgebiet. Sogar das Schlangestehen ist ein
Erlebnis - zum ersten Mal ohne spottende Bauernsöhne im Justin-Timberlake-Look.
Stattdessen um ihn herum Gespräche über geile Bands und Szene-Tratsch, den
Tom nicht versteht. Noch nicht. Aber schon bald wird auch er so richtig dazugehören.
An der Kasse vorbei, ein wenig herumschlendern. So groß, so viel zu sehen. Schon
auf dem Gang Grüppchen, die sich angeregt unterhalten. Überall eindrucksvoll
gestylte Menschen. Und erst auf der Tanzfläche. Wahnsinn! Und jedes Lied ein Hit,
nicht nur ein paar Zugeständnisse zwischen Shakira und Konsorten. So muß es im
Himmel sein oder, noch besser, beim Wave-Gotik-Treffen. Und das gibts ab jetzt
jeden Monat?! Die Wunstorfer werden ihn beneiden. Ein Bier in der Hand steht Tom
an die Wand gelehnt, lässt den Blick vorsichtig schweifen. Später wird er auch
tanzen gehen. Ganz sicher.
Hey! Ist das da vorne nicht die vom Bahnhof? Mist, nicht zu erkennen. Jedenfalls
ganz schön umringt. Drei muskulöse Kerle und eine sehr zierliche Blondine mit
Diadem um sie herum. Amüsiertes Reden und Gestikulieren, Gelächter.
Zwischendurch Posieren für einen Typen mit Kamera. Ja, das ist sie! Tom
beobachtet die Szene unauffällig aus dem Augenwinkel, nippt an seinem Bier.
Plötzlich schaut das Mädchen zu ihm rüber, ihre Blicke treffen sich. Tom schaut
verschüchtert weg, verschluckt sich, hustet. Scheiße! Kurzes Warten, dann erneut
rüberschielen. Schock! Sie geht in seine Richtung. Schlimmer: sie kommt direkt auf
ihn zu. Lächelnd. Tom nimmt noch einen großen Schluck, sieht sich hektisch in alle
Richtungen um, dann ist sie da. "Hi, ich bin Lilith."
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(4)
Überall Schwarzvolk! Springerstiefel und Bondagehosen, Samtkleider und Glöckchen,
Nietengürtel und -armbänder, Kajal und schwarz gefärbte Haare, und niemanden von den
Normalos scheint es zu stören. Tom schlendert fröhlich weiter. Eben noch Frust beim
Frühstück mit Wolfgang und Michaela in ihrer holzgewordenen Version von "Schöner
Wohnen", jetzt Festivalstimmung beim Flanieren in der Essener Innenstadt. Sogar das Wetter
stimmt. Und es ist sein letztes Wochenende "in Freiheit". Ab Montag dann die Ausbildung.
Hinein in den nächsten schwarzen Klamottenladen. Kaum zu glauben, nie mehr endlose
Fahrten zum Einkaufen. Und dann noch Auswahl! Tom stürzt sich aufs Textil. Der Verkäufer
plauscht derweil mit einem Kunden über eine Party heute Abend. Heute Abend! Scheint Toms
Glückstag zu sein; genau passend zu einer schwarzen Party angekommen. Perfekt, um seine
Ankunft gebührend zu feiern. Dorfleben ade!
Weiter hinten im Raum zwei Mädels bei der Anprobe. Tom schaut verstohlen rüber. Plötzlich
quäkt "Honour" aus seiner Tasche. Die Mädels sehen zu ihm rüber. Verdammtes Handy! Tom
senkt verschämt den Blick. Seine Freundin ist dran. "Hi, Sandra." Er klingt etwas gestresst.
"Hi, ich dachte, Du wolltest Dich melden, wenn Du angekommen bist. Was war los? Wie
gehts Dir?" "Ähm, super gehts. Ich hab gerade an Dich gedacht." Peinliche Notlüge.
Gekicher und Getuschel aus Richtung Anprobe. Mit hochrotem Kopf macht sich Tom aus
dem Laden, die Freundin am Ohr. Schadensbegrenzung.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(3)
"Scheiße, sie sind wirklich gekommen!" Beim Vorbeifahren sieht Tom die beiden. Dabei
hatte er so sehr auf einen Kometenhagel oder ähnliches gehofft. Die Tür öffnet sich. Davor
ein Pulk Menschen, dicht gedrängt, kaum Platz zum Aussteigen. Sinnflut - Überall Geräusch,
Geruch, Bewegung. Mißmutig zieht Tom sich die Kopfhörer ab, schaut in die fröhlich bis
debil lächelnden Gesichter der beiden Wartenden. Sie kommen näher.
"Du bist bestimmt Thomas, oder?", mehr Rechtspruch als Frage, stummes Nicken als
Antwort. "Mensch, als wir Dich das letzte Mal gesehen haben, warst Du gerade mal so groß",
die Frau hält verzückt eine Hand an ihre Hüfte. "Kannst Du Dich noch an uns erinnern? Tante
Michaela und Onkel Wolfgang." Nicken. "Schön, Dich mal wieder zu sehen, wir haben uns ja
Einiges zu erzählen. Wie gehts denn der Hetti?" Tom lächelt bemüht, wenig überzeugend.
Peinliche Stille. Wolfgang, mit Schnauzbart, greift nach Toms Tasche. "Du bist bestimmt
müde von der Fahrt. Komm, wir fahren Dich erst mal zu uns und zeigen Dir Dein Zimmer."
Wenigstens gehen sie ihm nicht mit den Händen durch die Haare.
Die Freunde von Toms Mutter laufen los, er selbst trottet nebenher. Grandiose Idee, ihn bei
den beiden einzuquartieren: er Polizist, sie Lehrerin - das perfekte Gespann, um ihm jeden
Spaß zu versauen. Sogar hier im Ruhrgebiet. Das Trio geht zur Treppe. Da sieht Tom zufällig
ein paar Gruftis. Ein Mädchen aus der Gruppe beobachtet belustigt die Szene, grinst
freundlich-spöttisch zu Tom herüber. Hölle! Sehr hübsch. Und er im Schlepp der beiden
Zombies. Verdammt! Tom sieht verschämt weg. Das fängt ja gut an.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(2)
Welch ein Empfang. Grimassen, die wohl an Horrofilme angelehnt sein sollen, aber
eher an billige Kopien von Jim Carrey in "Die Maske" erinnern. Die HipHopper haben
sichtlich Spaß. Eine männliche Stimme mit Ost-Berliner Plattenbauakzent rappt per
mp3-Handy blechern von ihrer Vorliebe für Analverkehr. Bei voller Lautstärke, der
ganze Waggon als Publikum. Tom fühlt nur hilflose Wut.
"Widerlich!", ruft eine Rentnerin von der Viererbank gegenüber; "Ihr solltet Euch was
schämen!", unterstützt sie stockschwingend ihr männliches Gegenüber. "Yo, Alte."
Brüllendes Gelächter, Abklatschen. Tom streckt sich etwas, ist nicht mehr Mittelpunkt
des Geschehens. Vorsichtiger Blick aus den Augenwinkeln auf die Möchtegern-
Gängsta. Einer von ihnen hält das Handy mitten in den Gang. "Sowas hätt es früher
nicht gegeben!" "Nimm doch Dein Hörgerät raus." Lachen braust weiter auf.
Plötzlich der Stock mitten im Gesicht des Sprücheklopfers. Überraschte Stille, nur
durchbrochen von monotonen Beats.
Dann Chaos. Die HipHopper springen auf, postieren sich im Gang, beachten Tom
nicht mehr. Der schwankt zwischen Neugier und Fluchtinstinkt. Sein Herz rast. Der
Getroffene hält sich die blutige Nase, die anderen beiden schreien die Rentner an,
die zetern zurück. Zwei Sicherheitsleute kommen angelaufen. Über das
Durcheinander die Erlösung: "Nächster Halt: Essen Hauptbahnhof". Toms Bahnhof.
Er packt seine Tasche und schleicht schnell in den nächsten Waggon.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-
(1)
235 km Hölle, zweieinhalb Stunden unfreundliche Kontrolleure, kreischende
Schulklassen, übelriechende Menschen und ein Sitzbezug aus fast schon
schmelzendem Kunstleder.Nur ein MP3-Player mit den neusten Szenehits,
um diese feindliche Aussenwelt nicht zu nah rankommen zu lassen. Die
Musikauswahl hatte seine Freundin, die in Wunstorf bleiben musste, für Tom
zusammengestellt. Wunstorf, Niedersachsen, Nirgendwo. Die nächste
schwarze Disko Dörfer entfernt. Was für ein Glück, dass er eine
Ausbildungsstelle in der Szenehochburg Ruhrgebiet gefunden hat. Er schaut
aus dem Fenster, Glöckchen bimmeln, seine Lackhose knarrt auf dem Sitz.
Drei junge Möchtegern-Gängsta setzen sich plötzlich zu ihm, der jüngste
grinst herausfordernd. "Ey, bisse Grufti?" Er beugt sich zu ihm vor, seine
Freunde lachen schallend. Tom schaut weiter aus dem Fenster, dreht die
Musik etwas lauter. Erinnerungen an die "Coolen" aus dem Dorf, für die
Gothics immer ein gefundenes Fressen gewesen waren. Aber hier im
Ruhrgebiet gibt es doch so viele, dass man nicht dumm angemacht werden
sollte, oder? Angestrengtes Starren aus dem Fenster. "Ey, hab Dich wat
gefragt!" Stoß mit dem Knie gegen seins. Das Lachen der Jugendlichen
schwillt an, sie wittern offensichtlich Beute. Tom sucht das aggressivste
Stück auf seinem MP3-Player und dreht voll auf. Natürlich steht er über dieser
Provokation, aber so langsam steigt Wut in ihm auf.
(Fortsetzung folgt)
-Armin Dettelburgh-